Vorwort zu Band 17 A

Vorbemerkung

Der vorliegende Band enthält den Notentext von Schönbergs unvollendetem Oratorium Die Jakobsleiter in jener Werkgestalt, in welcher der Komponist das zum Großteil zwischen Anfang Juni und Ende September 1917 komponierte, in den folgenden Jahren mehrfach fortgesetzte und im Juli 1922 endgültig abgebrochene Werk hinterlassen hat. Es handelt sich dabei um das insgesamt 684 Takte umfassende Particell, das gleich in doppelter Hinsicht Fragment geblieben ist: Zum einen deckt es nur etwa zwei Fünftel des selbstverfaßten Textbuchs ab, und zum anderen weist es an insgesamt drei Stellen zwischen zwei und 16 Takte umfassende Lücken im Orchestersatz auf, die Schönberg offenbar erst im Zusammenhang mit der dann jedoch nicht mehr ausgeführten Partiturreinschrift zu schließen gedachte. Daß das Werk in der vorliegenden Gestalt gleichwohl in einer gemäß den Prinzipien der Werkedition edierten Gestalt in die Reihe A mit den aufführbaren Werken aufgenommen wurde, hat seinen Grund nicht nur darin, daß es sich um ein Hauptwerk Schönbergs handelt, sondern beruht auch darauf, daß der fixierte Notentext in fast allen wesentlichen Bereichen (eben mit Ausnahme der nur sporadisch angegebenen Instrumentation) derart ausführlich bezeichnet ist, daß die musikalische Konzeption auch im Hinblick auf eine intendierte Aufführung hinreichend deutlich erkennbar ist.
Hinsichtlich der Wiedergabe des Particells, dessen Seiten- und Systemaufteilung aufgrund des übergroßen und nahezu quadratischen Formats der Vorlage nicht übernommen werden konnte, sah sich der Herausgeber genötigt, einen Kompromiß zwischen einer möglichst großen Annäherung an das originale Erscheinungsbild einerseits und einer eindeutigen, intuitiv erfaßbaren und ohne Verweiszeichen auskommenden Wiedergabe der einzelnen Stimmverläufe andererseits einzugehen. Ziel war es, eine hinreichend große Übersichtlichkeit des Satzbildes zu erreichen, die das Studium der komplexen, häufig mehrere unterschiedlich besetzte Chorgruppen sowie diverse zum Hauptorchester hinzutretende Fern- und Höhenorchester umfassenden Anlage des Tonsatzes erleichtert. Hierzu waren unterschiedliche Maßnahmen notwendig: So wurde etwa der Chorsatz entgegen der Vorlage in Partitur gesetzt, um eine eindeutige und widerspruchsfreie Textunterlegung zu gewährleisten. Darüber hinaus wurden Stimmverläufe, die Schönberg mittels eines Pfeils oder Stimmführungsstrichs als  zusammengehörig auswies, konsequent in einem System notiert. Schließlich wurden rhythmisch identische Stimmenverbände nach Möglichkeit auf ein System oder – bei vieltönigen Akkorden – auf zwei unmittelbar benachbarte Systeme zusammengezogen. Selbstverständlich werden sämtliche Abweichungen von der originalen Anlage des Particells im Kritischen Bericht mitgeteilt, so daß die originale Seiten- und Systemaufteilung jederzeit rekonstruiert werden kann.
Eine weitere Konzession an die Übersichtlichkeit bzw. Eindeutigkeit des Notenbildes besteht in der Vereinheitlichung der Instrumentationsangaben, die am Anfang einer neuen Akkolade in Klammern nur
dann wiederholt werden, wenn ein zwischenzeitlicher Instrumentenwechsel ausgeschlossen werden kann. Für den unterlegten Text schließlich war – von jeweils eigens zu begründenden Ausnahmen abgesehen – das 1917 erschienene Textbuch gerade auch hinsichtlich der im Particell weitestgehend fehlenden Interpunktion maßgeblich. Bei der Akzidentiensetzung folgt der vorgelegte Notentext der erkennbaren und im Verlauf der Vorlage zunehmenden Tendenz, jede einzelne Note mit einem Vorzeichen zu versehen. Von diesem Prinzip sind nur unmittelbare bzw. unmißverständliche Tonwiederholungen ausgenommen.
Die im Rahmen der Gesamtausgabe vorgelegte Ausgabe des Particells der Jakobsleiter darf wohl in doppelter Hinsicht als Meilenstein für die Musikedition gelten: Während sie einerseits Schönbergs unvollendetes Hauptwerk der mittleren Schaffensperiode erstmals in jener überdimensionierten, noch nicht – wie in einer späteren autographen Teilabschrift, die als Grundlage für die von Winfried Zillig realisierte und von Rudolf Stephan 1985 im Supplement der Gesamtausgabe herausgegebene Partitur diente – an die Orchesterpraxis angepaßten Besetzung zugänglich macht, in der es ursprünglich konzipiert wurde, unternimmt sie andererseits erstmals überhaupt den Versuch, ein Particell in einer historisch-kritischen Edition vorzulegen.
Ulrich Krämer
Berlin, Januar 2018