Vorwort zu Band 16, Teil 2 B

Der vorliegende Band enthält die kommentierte Edition der überlieferten Skizzen und Entwürfe zu Schönbergs in Band 16,1 der Reihe A veröffentlichten Gurre-Liedern und bietet außerdem eine Edition der rekonstruierten Frühfassungen sämtlicher Lieder aus dem I. und II. Teil sowie dreier Lieder aus dem III. Teil.

Das Skizzenmaterial entstammt sämtlichen Phasen der vielstufigen Entstehung des Werks und weist eine dementsprechend große Zahl unterschiedlicher Erscheinungsformen auf, die von spontanen Vorentwürfen bis hin zu reinschriftartigen Partiturentwürfen reichen. Zu diesem Komplex gehört auch jene auf die wichtigsten Stimmen beschränkte zusammenhängende Verlaufsskizze des Schlußchors, deren Ausarbeitung Schönberg nach eigenem Bekunden erst kurz vor Abschluß der Partitur im November 1911 unternommen hatte. Dabei bezieht sich der weitaus größte Teil der Skizzen auf das Melodram „Des Sommerwindes wilde Jagd“ aus dem III. Teil, dessen komplexes und vielschichtiges Stimmengewebe eine sorgfältigere Planung erforderte als etwa die in kurzer Zeit und dichter Folge komponierten Liebeslieder aus dem I. Teil, zu denen sich fast ausnahmslos Instrumentationsskizzen erhalten haben. Ein Teil der Gurre-Lieder-Skizzen entstand erst während der letzten Phase des eigentlichen Kompositionsprozesses, in der einzelne Teile des Zyklus überarbeitet, erweitert und dabei teilweise sogar ganz neu geschrieben wurden. Während einige der hiervon betroffenen Lieder in Teilen oder sogar als Ganzes durch Streichung oder Überklebung aus der erst nachträglich montierten zusammenhängenden Ersten Niederschrift ausgesondert wurden und so in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten blieben, hat Schönberg in den meisten Fällen die Revisionen als Korrekturen unmittelbar in das Manuskript eingetragen, so daß der Notentext der Frühfassung erst durch das Abtragen der späteren Zusätze rekonstruiert werden mußte. Die Auswahl der hier erstmals der Öffentlichkeit vorgelegten Frühfassungen beschränkt sich dabei auf diejenigen Lieder, die aufgrund der Art und der Anzahl der späteren Änderungen eine gewisse Eigenständigkeit erkennen lassen. In diesem Sinne haben sich von dem Lied „Herrgott, weißt Du, was Du tatest“, das den II. Teil der Gurre-Lieder bildet, sogar zwei Frühfassungen erhalten.

Die wichtigste Voraussetzung für die Edition der Frühfassungen, die zusammen mit den Skizzen einen tiefen Einblick in die Werkstatt des Komponisten erlauben, bestand in der Ablösung der zahlreichen, teils mehrschichtigen Überklebungen innerhalb der Ersten Niederschrift. Der Dank hierfür gebührt der Restauratorin Verena Graf, die diese heikle Aufgabe meisterhaft bewältigte, sowie dem Arnold Schönberg Center und seiner Archivarin Therese Muxeneder, das die Durchführung überhaupt erst ermöglichte.
Gedankt sei ferner Wolfgang Behrens für die Übertragung eines Großteils der Skizzen, Christian Meyer und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arnold Schönberg Centers, Wien für vielfache Hilfe vor Ort sowie der Snyder Collection, Maryland.

Berlin, im Januar 2005
Ulrich Krämer