Vorwort zur Gesamtausgabe (Band 1 A / Band 4 A)

Das musikalische Werk Arnold Schönbergs – außer den vollendeten und unvollendeten Kompositionen auch die zugehörigen Skizzen und eventuelle Frühfassungen, ferner alle Bearbeitungen oder Instrumentationen von Werken anderer Komponisten – wird in einer Gesamtausgabe vorgelegt, die der Praxis, dem Kompositionsstudium und der wissenschaftlichen Forschung dienen soll. Sie umfaßt folgende Abteilungen:

I. Lieder und Kanons
II. Klavier- und Orgelmusik
III. Bühnenwerke
IV. Orchesterwerke
V. Chorwerke
VI. Instrumentalkonzerte
VII. Kammermusik
VIII. Instrumentationen
IX. Parerga

Auf Grund des reichhaltigen Materials bot sich eine Zweiteilung jedes Bandes an und damit die Aufstellung von zwei Reihen: Reihe A enthält den Notentext in der aus Original- oder Erstdrucken sowie aus den anderen Quellen abgeleiteten Fassung; Reihe B den getrennt erscheinenden Komplementband mit eventuellen Frühfassungen und Skizzen, sowie gegebenenfalls unvollendete Werke und abschließend den Revisionsbericht.
Vier Werke wurden, obwohl unvollendet, wegen ihres künstlerischen Gewichts, ihrer besonderen Bedeutung und Stellung im Schaffen Schönbergs, in die vollendeten Werke eingereiht: die Oper „Moses und Aron“, das Oratorium „Die Jakobsleiter“, der Psalm op. 50 C und die drei kleinen Stücke für mehrere Instrumente.
An Quellen liegen vor:
Die Originaldrucke, deren Stich Schönberg selbst überwacht hat, oder die nach seiner Reinschrift faksimiliert wurden.
Die Handexemplare mit eigenhändigen Korrekturen.
Erste Niederschriften und Reinschriften.
Skizzenbücher und lose Skizzenblätter.
Schallplatten mit den von Schönberg selbst einstudierten und dirigierten Werken.
Alle Bände der Reihe A, gegebenenfalls auch die der Reihe B, enthalten in kommentarähnlicher Zusammenfassung etwa vorhandene schriftliche oder mündlich überlieferte Äußerungen Schönbergs zu den betreffenden Werken; ferner Daten und Hinweise, die ihre Entstehung, besondere Entwicklungsmerkmale oder Zusammenhänge innerhalb des Gesamtwerks betreffen.

ZUR EDITIONSTECHNIK
Im Textteil der Gesamtausgabe sind alle von Schönberg stammenden Zitate, Datumsangaben etc. unter Beibehaltung der originalen Orthographie kursiv gedruckt; eventuelle Einschaltungen des Herausgebers in eckigen Klammern und gerader Schrift. Unumgängliche Änderungen des authentischen Textes werden im Revisionsbericht erwähnt.
Im Notenteil sind authentische Textworte, Buchstaben und Zahlen in geradem Druck wiedergegeben, Anmerkungen des Herausgebers in Kursivdruck. Zum Notenteil gehören auch die von Schönberg einem Werk vorangestellten Ausführungsanweisungen. Gesangstexte werden stillschweigend moderner Rechtschreibung und Interpunktion angeglichen. Über sinnändernde Abweichungen vom Text referiert der Revisionsbericht.
Werktitel, Autorennamen und Copyrightvermerke folgen ungeachtet ihres Satzbildes in der Regel den Quellen. Sie können aber, z. B. aus Gründen der Angleichung, Modifikationen unterliegen. Die vor der Akkolade stehenden Besetzungsangaben und -abkürzungen sind durchwegs vereinheitlicht. Der jeweilige originale Wortlaut dieser Texte ist stets im Revisionsbericht angegeben.
Vom Herausgeber hinzugefügte Kleinstichnoten und -pausen sind in einer Fußnote ausdrücklich als Zusätze bezeichnet. Alle übrigen Herausgeberzusätze sind folgendermaßen gekennzeichnet:
a) durch Kleinstich: Schlüssel, Taktzeichen, Akzidenzien vor Hauptnoten, Punkte, Keile ( ' ), Betonungszeichen ( >, ^ , ´ , u ), tenuto oder portato ( – ), Fermaten, Luftpausen ( V ) sowie Wellenlinien für Arpeggio, Glissando bzw. nach Trillerzeichen;
b) durch Strichelung: Bögen und Ligaturen, Schweller ( < > ), Zeichen für crescendo und decrescendo sowie für Haupt- und Nebenstimmen ( H, N );
c) durch eckige Klammern: Vor- und Nachschlagsnoten sowie Akzidenzien zu ihnen und zu Trillerzeichen;
d) durch Kursivdruck: Tempo- und Vortragsangaben sowie die vor der Akkolade stehenden Besetzungsangaben, Stärkegrade (f, p), Trillerzeichen, Textworte, Zahlen zu Instrumenten (à 2, 1. Pos. etc.), Taktnumerierungen.
Stillschweigend ergänzt sind in den Quellen ausgelassene ganztaktige Pausen, Ziffern über Triolen u. ä., fehlende kleine Bogen zwischen Vorschlags- und Hauptnote bzw. zu Nachschlagsnoten. Sollten in Sonderfällen Abweichungen von diesen editionstechnischen Richtlinien nötig sein, werden sie im Revisionsbericht des betreffenden Bandes angegeben.
Auf Grund praktischer Erfahrungen hat Schönberg das zunächst traditionelle Notenbild seiner Werke im Lauf der Zeit so weit verändert, wie es die möglichst präzise Wiedergabe seiner musikalischen Vorstellungen erforderte. Diese Veränderungen sind für den organischen Entwicklungsprozeß der Musik Schönbergs so charakteristisch, daß die Gesamtausgabe sie und ihren chronologischen Ablauf so genau wiedergibt, wie es für Wissenschaft und Praxis nötig schien. Das betrifft im einzelnen insbesondere:
die Erläuterungen und Ausführungsanweisungen Schönbergs zu den von ihm neu eingeführten Vortragszeichen;
die Notation der transponierenden Instrumente, die von op. 22 an in allen nichttonalen und Zwölftonwerken so notiert sind, wie sie klingen. Wogegen sie in allen tonalen Kompositionen, zum Teil auch in jenen erst während der zwölftönigen Kompositionsweise entstandenen, in der üblichen Weise transponiert sind;
die von op. 26 an ausnahmslos praktizierte, durchgehende Taktnumerierung. Sie wurde in der Gesamtausgabe um der Einheitlichkeit willen auch bei allen früheren Werken übernommen; dann jedoch, als Hinzufügung des Herausgebers, in kursiven Ziffern. Überdies nützt sie einer rascheren Orientierung im Zusammenhang mit dem Revisionsbericht.
Orchesterwerke hat Schönberg schon sehr früh in Form eines Particells geschrieben. Wo er später diese Form auch in die gedruckten Ausgaben übernahm – sowie bei allen nicht mehr von ihm selbst herausgegebenen Werken – folgt die Gesamtausgabe den originalen Vorlagen.
In der Notation der Vorzeichen richtet sich die Gesamtausgabe nach den von Schönberg in zwei Abhandlungen – „Zur Notenschrift“ (1923) und „Notierung (Vorzeichen)“ (1931) – formulierten und von ihm praktizierten Richtlinien:
1. Die Regel, daß die Vorzeichnung für den ganzen Takt gilt, wird zwar nicht aufgehoben, von ihr aber äußerst sparsamer Gebrauch gemacht.
2. Die Töne c d e f g a h werden (ohne pedantische Übertreibung: wenn es also anders auch klar ist, dann wird das einfachere getan) im allgemeinen immer mit dem Auflöser versehen, denn es ist in der modernen Musik schwer, sich in langen Takten zu merken, ob der Ton bereits erhöht oder erniedrigt vorkam.
3. Die Töne cis, des, dis, es, fis usw. werden (ebenfalls ohne Pedanterie!), so oft sie auch vorkommen, meistens auch bei Tonwiederholungen, außer, wenn es auch sonst klar ist, mit Kreuz oder Be versehen.
Aus „Zur Notenschrift“
… Ich habe nichts anderes getan, als daß ich im allgemeinen jedes Vorzeichen so oft gesetzt habe, als nötig schien, um einen Zweifel auszuschließen; ein Verfahren, das sich mit dem alten vollkommen deckt. Aus „Notierung (Vorzeichen)“.
In der Gesamtausgabe wird nur bei den vor 1906 entstandenen Werken, um der leichteren Lesbarkeit willen, eine Reduzierung der Vorzeichen dort vorgenommen, wo ein Zweifel ausgeschlossen ist. Ab 1906 dagegen prägte sich Schönbergs Entwicklung – von der erweiterten zur aufgehobenen Tonalität und weiter zur nichttonalen und zwölftönigen Kompositionsweise – in der Notation der Vorzeichen sichtbar aus. Insgesamt ist das neue Notenbild Schönbergs unverwechselbares, charakteristisches Spiegelbild seiner Musik. Die Gesamtausgabe übernimmt es, weil sie anders dem begründeten Willen des Komponisten nicht entsprechen würde. Und um der Wissenschaft willen, gegen deren Anspruch auf umfassende und originalgetreue Darstellung der Musik Schönbergs andernfalls verstoßen, ihr Bild verfälscht würde.

Berlin, im Mai 1966
Josef Rufer
Editionsleiter

Wesentlich für die Gesamtausgabe war die von Gertrud Schönberg, der Betreuerin des Nachlasses, geleistete Arbeit. Verlage und Herausgeber sind ihr dafür zu besonderem Dank verpflichtet. Die Verlage B. Schott’s Söhne, Mainz, und Universal Edition, Wien, haben ferner der Stiftung Volkswagenwerk, Wolfsburg, und dem Bundesministerium für Unterricht, Wien, für ihre finanzielle Unterstützung der Gesamtausgabe aufs wärmste zu danken.