Vorwort zu Band 17, Teil 1 B

Der vorliegende Teilband enthält den Revisionsbericht zu dem in Reihe A, Band 17 vorgelegten Notentext des fragmentarisch hinterlassenen Particells der Jakobsleiter sowie eine kritische Edition der vollständigen Dichtung einschließlich sämtlicher Konzept- und Textentwürfe. Die musikalischen Quellen (S. 2 ff.) umfassen neben dem umfangreichen Skizzenmaterial die Erste Niederschrift, die in Gestalt unterschiedlich langer, in nicht linearer Folge notierter Verlaufsentwürfe im IV. Skizzenbuch überliefert ist, die als Hauptquelle dienende Tintenniederschrift des Particells und eine Particellreinschrift der ersten 44 Takte mit deutlich reduzierter Orchesterbesetzung, die Schönberg 1944 im amerikanischen Exil angefertigt hat. Die Erste Niederschrift weist zwar zwei kleinere Lücken auf, ist dafür jedoch um 16 Takte länger als das Particell. Während diese letzten 16 Takte des Fragments in der als Supplementband zur GA von Rudolf Stephan herausgegebenen Partiturfassung von Winfried Zillig (vgl. Reihe A, Bd. 29) aus musikalisch-praktischen Gründen mit eingeschlossen sind, werden sie in der vorliegenden Ausgabe im zweiten Teilband im Zusammenhang mit den Skizzen abgedruckt und kommentiert. Da die mit dem besonderen Quellentypus des Particells unmittelbar verbundene variable Seiten-, Akkoladen- und Systemaufteilung aufgrund des übergroßen Formats der Vorlage im Notentext der GA nicht beibehalten werden konnte, werden sämtliche das Layout betreffenden Abweichungen der Particellniederschrift in einer tabellarischen Übersicht im Anschluß an deren Beschreibung mitgeteilt (S. 114 ff.).

Das Quellenmaterial zum selbstgedichteten Text der Jakobsleiter ist nicht nur umfangreicher, sondern auch vielschichtiger als das zur Musik (S. 203 ff.). Dies hängt in erster Linie damit zusammen, daß Schönberg die Dichtung nicht nur fertiggestellt, sondern unmittelbar nach Abschluß der definitiven Fassung sogleich zum Druck befördert hat. Dementsprechend sind Quellen aus allen Stadien der Textgenese überliefert: von den umfangreichen Vorarbeiten in Gestalt der Konzept- und Textentwürfe über die teilweise aus Vorentwürfen zusammenmontierte und mittels Streichungen und Überklebungen vielfach überarbeitete Erste Niederschrift, die Tintenreinschrift, das als Kompositionsvorlage dienende Typoskript mit zwei jeweils eigene Korrekturen aufweisenden Durchschlägen, den 1917 erschienenen Erstdruck, von dem diverse Handexemplare im Nachlaß des Komponisten erhalten sind, bis hin zum leicht revidierten Neudruck im Rahmen des Sammelbandes Texte von 1926 einschließlich der zugehörigen Korrekturfahnen. Die unterschiedlichen Lesarten der Textquellen werden im Zusammenhang mit dem Abdruck des emendierten Texts der Dichtung mitgeteilt (S. 304 ff.).

Die zahlreichen Konzept- und Textentwürfe (S. 326 ff.) sind nicht nur für die Werkentstehung, sondern vor allem auch für den geistig-ideellen Hintergrund des Oratoriums von Interesse. Sie dokumentieren Schönbergs Ringen um die mit dem religions- bzw. moralphilosophischen Kern der Dichtung ganz unmittelbar verbundene Stufenfolge der als Typen angelegten Figuren ebenso wie etwa die Tatsache, daß die Figuren des Aufrührerischen und des Ringenden einer gemeinsamen Typologie entsprangen, deren Aufspaltung erst nach und nach erfolgte, oder daß Schönberg die Figur des Auserwählten als Prototyp des Genies mit unverkennbar autobiographischen Zügen konzipiert hat. Die Anordnung und die Art der Präsentation der Textentwürfe verfolgt dabei nicht die Absicht, die Chronologie der Entstehung nachzuvollziehen – ein Unterfangen, daß aufgrund der Komplexität der Anlage und der Sprunghaftigkeit der Assoziationsfäden ohnehin zum Scheitern verurteilt wäre –, sondern bemüht sich darum, die inhaltlichen Zusammenhänge zu verdeutlichen, um auf diese Weise eine weitergehende Beschäftigung mit dem gedanklichen Gehalt der Dichtung auch auf einer kontextuellen Ebene anzuregen. Um einen möglichst vollständigen Überblick über die Materialien zu ermöglichen, wurden teilweise auch die Überklebungen innerhalb der Entwürfe und der Ersten Niederschrift gelöst bzw. die jeweils verdeckte Frühschicht einzelner Textabschnitte mit Hilfe von Durchlichtscans und digitaler Bildbearbeitung soweit wie möglich sichtbar gemacht. Abgerundet wird der Band durch den Abdruck des vertonten Text des Oratoriums in der Fassung der GA (S. 363 ff.).

Der besondere Dank des Herausgebers gilt allen Personen und Institutionen, die die Editionsarbeiten durch kompetenten fachlichen Rat, die Bereitstellung von Quellen und die freundliche Beantwortung bibliographischer Fragen unterstützt haben:
Therese Muxeneder und Eike Feß (Arnold Schönberg Center, Wien), Simon Obert (Paul Sacher Stiftung, Basel), Uta Schaumberg (Bayerische Staatsbibliothek, München), Andrea Hoffmann (Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig), Cornelia Branscheidt (Cobra Antiquariat, Oberursel), Martin Klaußner (Antiquariat Klaußner, Fürth), Thomas Krestan (Antiquariat Löcker, Wien), Silke Mellin (Antiquariat Weinek, Salzburg), Martin Peche (Antiquariat Inlibris, Wien).

Berlin, im Mai 2020
Ulrich Krämer