Vorwort zu Band 11, Teil 4 B
Der vorliegende Band enthält zunächst den Kritischen Bericht zu den in Band 11, 3 der Reihe B vorgelegten Werken. Während die Edition der Drei Stücke für Kammerensemble von 1910 auf einer kritischen Sichtung der autographen Partiturniederschriften als einziger Quelle beruht, galt es im Fall der Kammersymphonie op. 9 in der Bearbeitung für Orchester von 1914 zwischen zwei Quellen abzuwägen, die zwei unterschiedliche, zeitlich weit auseinanderliegende Textstufen in der Überlieferung des Werks repräsentieren:
Schönbergs zweites Handexemplar der im Mai 1914 erschienenen „Verbesserten Ausgabe“, in das der Komponist die Verdopplungen der Bläser und die damit einhergehenden Modifikationen der Dynamik eingetragen hatte. Nach dieser Vorlage ließ der Verlag einige Partiturexemplare einrichten, die für Aufführungen in orchestermäßiger Besetzung leihweise zur Verfügung gestellt wurden;
der Korrekturabzug einer geplanten vierten Auflage der „Verbesserten Ausgabe“ vom Juli 1922, der entgegen seiner ursprünglichen Bestimmung schließlich als Stichvorlage für die 1923 erschienene Studienpartitur diente. Diese sollte nach dem Willen des Verlags zunächst auch die zu diesem Zweck von Erwin Stein in die Vorlage eingetragenen Zusätze der Bearbeitung für Orchester im Kleinstich enthalten, was auf Betreiben des Komponisten jedoch unterblieb.
Darüber hinaus schließt der Band mit der Entstehungs- und Werkgeschichte von Schönbergs op. 9 eine offenkundige Lücke innerhalb der werkbezogenen Schönberg-Biographik, handelt es sich bei der Kammersymphonie doch um eines der für die künstlerische Entwicklung des Komponisten zentralen Werke. Im Rahmen einer Untersuchung der Werkgenese anhand der überlieferten Skizzen und Entwürfe ist es gelungen, den Beginn der Komposition näher zu bestimmen, wodurch sich die eigentliche Komposition und die parallel dazu erfolgte Ausarbeitung der Partitur auf den Zeitraum von etwa drei bis vier Monaten eingrenzen läßt. In der anschließenden Darstellung wird der weitere Werdegang der Kammersymphonie von ihrer Uraufführung in Wien über die langwierigen Verlagsverhandlungen und ihre verspätete Drucklegung, die wichtigsten Aufführungen wie etwa die zehn öffentlichen Proben vom Mai/Juni 1918 bis hin zu den zahlreichen Bearbeitungen des Werks von Schönberg selbst und aus seinem näheren Umfeld anhand der überlieferten Dokumente nachvollzogen. Die abschließende Diskussion dient der Würdigung der grundlegenden, von Schönberg und seinen Schülern verfaßten schriftlichen Zeugnisse zur Kammersymphonie. Ergänzt wird die Entstehungs- und Werkgeschichte durch umfangreiches, knapp 500 Einzelnachweise umfassendes und zum großen Teil unveröffentlichtes dokumentarisches Material zur Entstehung und Drucklegung, zu den unterschiedlichen Fassungen und zu den wichtigsten Aufführungen des Werks.
Der im Anhang des Bandes abgedruckte Anfang eines Werks für Kammerorchester von 1913 nimmt mit der solistischen Bläserbesetzung vielleicht noch auf die Kammersymphonie Bezug, weist jedoch hinsichtlich seiner Tonsprache bereits deutlich auf die Lieder op. 22 und das Oratorium Die Jakobsleiter voraus. Der Anfang einer weiteren Kammersymphonie in a-Moll wurde bereits im Anhang von Band 22 der Reihe B publiziert.
Der herzliche Dank des Herausgebers gilt wie immer vor allem den Personen und Institutionen, die die Editionsarbeiten durch die freundliche Bereitstellung von Quellen und kompetenten fachlichen Rat unterstützt haben: dem Leiter der Musiksammlung der Wienbibliothek im Rathaus, Dr. Thomas Aigner, den Archivaren des Arnold Schönberg Centers, Wien, Therese Muxeneder und Eike Fess, sowie Professor Dr. Giselher Schubert, Frankfurt/M. und Professor Dr. Rudolf Stephan, Berlin, dessen nie versiegender Wissensfundus und dessen untrügliches Gespür für historische Zusammenhänge die Arbeit wesentlich bereichert hat.
Berlin, im Juli 2010
Ulrich Krämer